Abschaum …

Abschaum.   (geschrieben ca. 1986)

Das ist doch Abschaum! – Der Staat bezahlt Tausende und Tausende, um sie aufzupäppeln, nur damit sie wieder anfangen können …“

Jedes Wort schnitt mir ins Herz, so dachte ich. Da geht es um Menschenleben, und die „freundliche Dame von nebenan“ spricht nur über Geld … Warum? – Ist das nicht auch einer der Gründe, warum sie immer wieder mit dem Mist anfangen: Kein Vertrauen zu bekommen von den Mitmenschen?

Drogenabhängige, Alkoholiker, Penner, Prostituierte: Der Abschaum? – Oder von der Gesellschaft verschuldet und deshalb so gehasst? Muss sich nicht jeder von uns an die eigene Nase fassen? – „Ein Gläschen in Ehren …“, „Komm, sei kein Frosch, ein Bier darfst Du noch trinken …“, „Puh, das war ein Schock, jetzt muss ich mir erst ´mal einen heben …“ – Alkohol, nichts ist so geliebt als Gesellschaftsdroge wie diese: Keine Feier ohne Alkohol, kein Restaurantbesuch ohne z.B. Sherry, Bier, Weine, Cognac etc. (es gehört doch zum guten Ton, selbst bei „Knigge“). Aber nichts wird mehr gehasst als die Folgen: Schon ein Betrunkener wird gemieden, auf der Straße macht man einen großen Bogen um ihn, noch schlimmer, wenn dies häufiger vorkommt, aber Alkoholiker !?! – „Ab in die geschlossene Anstalt mit denen, die dürfen gar nicht mehr auf die Menschheit losgelassen werden! Die fangen ja doch wieder an, das Geld kann der Staat besser anlegen …“

Abschaum? – Selbst wenn von hundert Personen, die eine Therapie durchmachen, auch nur eine geheilt wird, kann man da nicht sagen, dass es sich gelohnt hat? – Wenn von hundert Drogenabhängigen auch nur einer nach Jahren noch „clean“ ist, eine Familie gegründet hat etc. – kann man da nicht stolz sein? – Ist das auch noch Abschaum, nur weil er ´mal Drogen genommen hat?

Warum hat die Gesellschaft so viele Wahrheiten, warum ist sie nicht einmal konsequent? – Warum sind wir als “die Gesellschaft” nicht fähig, auch das weniger Gute zu akzeptieren? Schließlich ist das doch ein Teil von uns! – Schließlich wurde alles doch von uns produziert, oder? In einer Welt, in der Keiner offen seine Probleme aussprechen darf, sondern sie möglichst alleine, ohne Hilfe, ohne Aufsehen zu erregen, selber lösen soll, gibt es nun mal auch labilere Menschen, die durch diesen von außen herangetragenen Stress ihren Körper kaputt machen (Hilfe durch Selbstzerstörung). Die einen durch Drogen und Alkohol, die anderen durch Magengeschwüre und anderen „Problem“-Krankheiten. Was ist der Unterschied? – Der Abschaum?

Wenn ein Süchtiger durch gewisse Umstände nicht aus seinem Umfeld heraus kommt, hat er nun mal geringe Chancen, standhaft zu bleiben, zumal es die „Kumpels“ einem redlich schwer machen. Wie oft wird einem „Ehemaligen“ trotzdem sein Suchtmittel angeboten, ob Droge oder Alkohol!?! Unser bekanntester Alkoholiker Deutschlands, Harald Juhnke: wurde er in seinem elenden Kampf unterstützt? – Nein, alle haben nur darauf gewartet, wann er wieder einmal rückfällig wird. Jahrelang waren Tag für Tag, Woche für Woche neue Artikel über ihn in den Zeitungen. Aber war auch nur einer davon positiv: „Komm, Harald, du schaffst es!“ etc. oder versuchte auch nur ein Artikel davon, die Menschen über das Problem Alkohol zu informieren? – Der Abschaum! – Wer? Wie viele Menschen maßen sich an, über Süchtige urteilen zu können? Wie viele würden, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, den ersten Stein werfen? – „Der Staat zahlt denen doch alles – vom Krankenbett bis zu den Drogen selbst, und uns nimmt er alles weg …“ Zack, Bumm. Das war der erste. Aber wer von denen, die urteilen, haben je mit einem Drogen- oder Alkoholsüchtigen gesprochen, sich je mit der gesamten Problematik befasst, sind je nach Amsterdam gefahren, um sich dort über alles zu informieren? – Die meisten sind doch auch in diesem Bereich Autodidakten, die nur glauben, alles zu wissen von dem Abschaum. Von dem – was ?

Ich möchte nichts beschönigen. Wirklich nicht. Süchtig-sein ist eines der schlimmsten „Abenteuer“. Ein einziges Mal neugierig sein und eine Spritze aufziehen und man quält sich ein Leben lang mit den Folgen herum. Wer je Drogenabhängige im Entzug gesehen hat, meinte garantiert, dem Tod direkt ins Auge zu blicken. Wer Alkoholiker über längere Zeit beobachtet hat, weiß, wie sehr diese Abhängigkeit nicht nur den Körper über kurz oder lang hinwegrafft, sondern wie sehr der Mensch seelisch darunter leidet, wenn er feststellt, dass er keine Kraft mehr hat aufzuhören. Wer sich einmal mit den so genannten „Pennern“ befasst hat, sah garantiert die Ausweglosigkeit ihrer Situation, da „die Gesellschaft“ – wir – ihnen keine Chance gibt auszubrechen. Einzubrechen in unser Leben. Und das Leben der Prostituierten? Ist das eigentlich Leben? – Viele von denen, die ich kennen gelernt habe, sehen darin ganz einfach Arbeit. Notwendige Arbeit, damit sich alle die, die nicht zum Abschaum gehören, austoben können, ohne der Gesellschaft zu viel zu schaden.

Doch – je länger man überlegt: Wer ist jetzt überhaupt der Abschaum? Sind es tatsächlich die vier Gruppen, die jetzt genannt worden sind? Sind das nicht eigentlich diejenigen, die am ehrlichsten leben? Die sich nichts mehr vormachen, was das Leben betrifft? – Sind nicht vielmehr wir – die Gesellschaft – der Abschaum, weil wir noch nicht mal mehr das Sprichwort „leben und leben lassen“ kennen? Weil wir alle kurieren wollen, damit sie wieder ins Konzept passen und alle, die nicht mehr können, noch weiter in den Dreck stoßen? Dorthin, wo den paar Idealisten, die den „anderen“ tatsächlich helfen wollen, bald die Zwangsjacke angelegt wird?

Das ist doch Abschaum! – Wer? – Wir alle vielleicht … ?!“

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